Hebammen und Geburtshilfe – ein Hilferuf

Dieses Thema begleitet mich seit sechs Jahren, seit ich das erste Mal schwanger war. Das war 2010. Inzwischen bin ich mit dem vierten Kind schwanger, und die Lage hat sich im Vergleich zu vor sechs Jahren deutlich verschlechtert: Die Rede ist von der Situation der Hebammen und Geburtshilfe in Deutschland. Aktuell ist das Thema für mich mal wieder sehr präsent – die nächste, die vierte, Geburt steht im Februar 2017 an. Ich werde an dieser Stelle NICHT im Einzelnen über die vorangegangenen Geburten schreiben, sondern das separat machen. Eins kann ich aber zu meinen Geburtsgeschichten sagen: Ich hatte alles – zwei Krankenhausgeburten mit 1x Kaiserschnitt und 1x Saugglocke und eine “Traum”-Geburt im Geburtshaus Paderborn.

Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen möchte ich mich nun für die Hebammen stark machen und auch junge und Erst-Schwangere und auch (werdende) Väter für das Thema sensibilisieren.

“Meine” Hebammen

Ich habe in den letzten sechs Jahren ausnahmslos fantastische Frauen als Hebammen kennengelernt, die ihren Beruf mit Leidenschaft, Liebe und Begeisterung ausgeübt haben. (Selbiges kann ich – nur zum Vergleich – längst nicht von allen Frauenärzten behaupten, die meine Schwangerschaften betreut haben!)

Wir sind in den vergangenen Jahren viel umgezogen, daher hatte ich eigentlich bei jedem Kind eine andere Hebamme. Zusätzlich habe ich über Geburtsvorbereitungs- und Rückbildungskurse viele wunderbare Hebammen kennenlernen dürfen, und ich kann eins mit Sicherheit sagen: Sie waren alle individuell und verschieden, und ich habe von jeder einzelnen etwas gelernt. Danke an dieser Stelle!

Hebammen und Geburtshilfe in Deutschland: Status Quo

Denk ich an die Geburtshilfe in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht.

So würde der gute alte Heinrich Heine das wohl formulieren. Es sieht finster aus. Wie in vielen Wirtschaftszweigen zählt auch im Gesundheitssektor nur noch eins: Die harte Währung. Und damit sind nicht die Gehälter des Pflegepersonals gemeint, sondern der Profit, der am Ende für die Krankenhäuser, Pharmakonzerne und wer da sonst noch dran verdient herausspringen soll.

Das gilt allgemein für Krankenhäuser und den Pflegesektor, aber eben auch speziell für die Geburtshilfe. Ich persönlich finde das einen Skandal, und ich werde auch sagen warum:

Eine Hebamme ist heute kaum noch in einem Krankenhaus angestellt, maximal in Teilzeit. Die meisten arbeiten freiberuflich und tragen schon darin ein gewisses Finanzierungsrisiko. Gut, das haben sie in der Regel vorher gewusst. Die, die trotzdem Hebammen werden, entscheiden sich meist aus Leidenschaft und Idealismus dafür – wovon wir als Schwangere und später als Mütter ungemein profitieren!

Viele Hebammen schlagen sich also mit dem Angebot diverser Kurse rund um Baby, Wochenbett, Schwangerschaft und Rückbildung durch, bieten Nach- und Vorsorgen an, leisten unersetzliche Hilfestellung im Alltag mit dem Baby und begleiten Geburten – und das alles auch am Wochenende, an Feiertagen und nachts.

Berufshaftpflicht unbezahlbar

Der letzte Punkt – die Geburtshilfe – ist allerdings selten geworden, denn kaum noch Hebammen können die Geburtshilfe überhaupt anbieten. Warum? Weil ihre Berufshaftpflichtprämie horrend gestiegen ist. Aktuell zahlt eine Hebamme in der Geburtshilfe 6.800€ im Jahr, Tendenz steigend. Gemessen an dem, was eine Hebamme im Durchschnitt verdient, ist es für die meisten kaufmännischer Irrsinn überhaupt noch Geburtshilfe anzubieten. Mit einer schlimmen Folge: Kreißsäle und Geburtshäuser werden geschlossen, und Schwangeren bleibt für die Entbindung nur noch die spärliche Auswahl, in welchem Krankenhaus sie entbinden wollen. Alternativen wie Geburtshäuser oder gar Hausgeburten werden mit dieser Politik systematisch ausgeräumt. Und genau das ist mehr als beklagenswert.

Immer noch gibt es viele Vorurteile gegen Hausgeburten oder Geburtshäuser, und auch ich sah mich bei meiner Entscheidung, mein drittes Kind im Geburtshaus zur Welt bringen zu wollen, mit Unglauben bis Entsetzen in meiner Familie konfrontiert. Mit diesen Ängsten und Vorurteilen werde ich an anderer Stelle noch einmal aufräumen – einen sehr schönen Beitrag dazu hat Sabrina von Mamahoch2 vor einiger Zeit geschrieben; in diesem Blogpost möchte ich auf etwas anderes hinaus.

Seit September 2015 bekommen Hebammen, die pro Quartal mindestens eine Geburt betreuen, einen Sicherheitsabschlag, damit sie sich ihren Beruf leisten können (ja, die Formulierung ist Absicht), ABER der Fehler liegt da schon wieder im Detail: Ist die Frau nämlich privat versichert, wird es schon wieder schwierig. Außerdem hat man ja auch mal Urlaub, das eigene Kind ist krank oder man selbst, oder es ist einfach ein schlechter Zeitraum mit wenig Geburten (ist in unserem Land auch nicht ungewöhnlich).

(Das ist übrigens eine ähnliche Milchmädchenrechnung wie die Maut-Debatte, bei der sie uns weismachen wollen, dass wir erstmal schön zahlen sollen, den Ausgleich dann aber an anderer Stelle bekommen in Form von Steuererleichterungen. Das ist ein genauso fiskalischer Unsinn wie die Gängelei der Hebammen, die wir gar nicht hoch genug bezahlen können für das, was diese Frauen leisten!)

Hinter der gesamten Problematik stehen finanzstarke Versicherungskonzerne und Krankenversicherungen, die mit wahnwitzigen Millionensummen getreu dem neoliberalistischen “Mehr-Wachstum”-Mantra dabei sind einen ganzen Berufsstand auszulöschen.

Bei der ganzen Debatte rund um die “sichere” und “natürliche” Geburt, oder bei den Nebenschauplätzen “Kaiserschnitt vs. natürliche Geburt” geht es leider nicht um Argumente (von denen ich auch eine ganze Menge nur aus meinem persönlichen Erfahrungsschatz beisteuern könnte), sondern um Geld. Davon haben besagte Versicherungskonzerne eine ganze Menge, und damit machen sie gerade die Hebammen platt. Das muss man einfach mal so sagen.

Aber die Hebammen haben uns. Frauen. Mütter. Eltern. Wir sind die Öffentlichkeit! Und wir müssen uns dagegen wehren, sonst werden unsere Töchter nur noch per Plan-Kaiserschnitt im Akkord im Krankenhaus (das, nebenbei gesagt, für Kranke ist!!) entbinden. Ein Blick nach Amerika – dem Land des Kapitalismus im Endstadium, das sich gerade vor der ganzen Welt mit seiner Präsidentschaftswahl blamiert hat – zeigt uns, wohin die Reise geht: Seit Jahren steigt dort die Kaiserschnittrate; der schlechte Zustand der Geburtshilfe wird immer wieder beklagt.

Dich geht das nichts an? Sicher?

Jetzt mag vielleicht die ein oder andere denken, dass sie das nichts angeht, weil sie sowieso keine Kinder will. Oder schon welche hat (aber die wollen vielleicht auch selbst mal welche haben?). Oder weil für viele aus medizinischen Gründen ein Kaiserschnitt unumgänglich ist. Oder weil viele die Optionen Hausgeburt und Geburtshaus schon nicht mehr haben. Oder sowieso nicht in Erwägung ziehen.

Ja, kann alles sein, und ich hab auch Verständnis für jede individuelle Entscheidung. Mir geht es im Gegensatz zu 99% aller Frauen- und Elternmagazine auch NICHT darum diese einzelnen Gruppen und Grüppchen jetzt inhaltlich gegeneinander aufzuhetzen, damit meine Klickzahlen stimmen.

Ich verurteile niemand für die Entscheidung per Plan-Kaiserschnitt entbinden zu wollen (das war auch mal anders, aber dazu schreibe ich ein anderes Mal). Was ich will: Dass wir uns alle bewusst machen, was da auf Kosten von Schwangeren, Müttern und unseren Kindern gerade verhandelt wird!! Auch wenn Du Dich selbst nicht für betroffen hältst, so geht uns das Thema sehr wohl gesamtgesellschaftlich an.

Dass die Optionen Hausgeburt und Geburtshaus zukünftig gar nicht mehr existieren sollen – das geht in einer demokratischen Gesellschaft nicht, bin ich der Meinung. Auch wenn Du selbst keine Hausgeburt oder Entbindung im Geburtshaus haben willst – die Möglichkeit dazu sollten alle Gebärenden in diesem Land haben!

Sollte es wirklich so weit kommen, dass es das Angebot Geburtshaus/Hausgeburt zukünftig nicht mehr gibt, weil die Versicherungsprämien für die Hebammen zu hoch sind (was für ein bescheuerter Grund, mal ehrlich!), dann werden Frauen und ihre Hebammen, die dies trotzdem wünschen, als nächstes kriminalisiert. In was für einem Staat lebten wir dann, wenn das Gebären zum kriminellen Akt wird??? — Ja genau, bitte mal kurz nachdenken!

Aktionen und Protest

Was machen wir jetzt? Ich mag es ja nicht die Dinge einfach nur zu beklagen. Es gibt ein paar Möglichkeiten sich für die Hebammen einzusetzen und die Geburtshilfe in Deutschland noch zu retten. Der Berufsverband der Hebammen setzt sich seit Jahren öffentlichkeitsstark ein. Außerdem gibt es die Eltern-Initiative “Mother Hood e.V.”, die eine Petition gestartet hat und ebenfalls seit Jahren auf die Missstände hinweist. Beide verlinke ich im Folgenden – klick Dich durch, lies Dich in die Problematik ein, teile auf Facebook, schreib an die Verantwortlichen, sammle Unterschriften, flute das Netz mit den entsprechenden hashtags, nerv die Politiker zu dem Thema …!!!

Wir können den Trend stoppen, wenn wir der Politik ganz klar sagen: Wir wollen eine weiterhin gute Betreuung durch unsere Hebammen! Rettet die Geburtshilfe, lasst Hausgeburten und Geburtshäuser nicht wegen Geld scheitern. Warum die sooooo wichtig sind, haben viele Mütter, Hebammen, Studien, Bloggerinnen bereits überzeugend dargelegt, während die Gegenseite immer nur mit Geld und möglichen Risiken herumfantasiert. Meine Geschichte wird bald dazukommen. (Leider geht’s ja nicht um Argumente oder Inhalte, aber trotzdem hab ich einiges zu dem Thema zu sagen. Freut Euch drauf!…)

Was mich an dieser Stelle allerdings brennend interessiert: Wie geht oder ging es Dir mit Deiner Hebamme? Welche Erfahrungen hast Du rund um Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett mit Deiner Hebamme gemacht?

Ich werde dieses Thema noch das ein ums andere Mal in den nächsten Wochen aufgreifen. Bis dahin freue ich mich auf Kommentare und auch gern Fragen!

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!
Lieber Gruß,
Sonja

Links

Berufsverband der deutschen Hebammen, mit Möglichkeiten mitzumachen und sich dem Protest anzuschließen

Mother Hood e.V.  – Elterninitiative zur sicheren Geburt in Deutschland

Hebammenblog – sehr schöner Blog rund um Hebammenarbeit, Geburten und Schwangerenbetreuung

Hebammenpolitik – ein (älterer) Blog zum Thema

 

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Sonja

Sonja ist leidenschaftlich dem Nähen und Bloggen verfallen und Mama von vier Kindern. Hier auf dem Blog teilt sie ihre Nähwerke, Nähanleitungen, DIY-Tutorials und ihre Schnittmuster für Kinderkleidung und Geschenke mit der Welt. Abseits davon hat sie einen Faible für Philosophie und Kunst und steht auf laute Musik, Endzeitfilme, Kaffee mit Creme und Yoga. Mehr über Sonja erfährst Du hier.

6 Gedanken zu „Hebammen und Geburtshilfe – ein Hilferuf“

  1. Liebe Sonja,

    ich bin NICHT betroffen (unsere Familienplanung ist abgeschlossen), dennoch bringt auch mich dieses Thema schier auf den Palme.

    Noch ein Gedankenanstoß diesbezüglich:
    * früher hatten die "Götter in Weiß" das alleinige Recht der Geburt. Nur sie durften Geburtshilfe leisten.
    * die ersten Hebammen mußten sich dieses Recht sehr hart erkämpfen (zu Beginn wurden sie natürlich von den "Halbgöttern" vor die diversen Gerichtsbarkeiten gezerrt. Mit Verbannung und Kerker bestraft.
    * irgendwann gab es sie dann … die Hebammen
    * Hebammen müssen irre hohe Berufsgenossenschaftsbeiträge zahlen.
    * was zahlen die Ärzte für Beiträge? Ärzte welche wesentlich mehr Patienten täglich behandeln? Sind deren Beiträge etwa im gleichen Schlüssel angepaßt?
    NEIN!
    * es wird nicht mehr lange dauern und es gibt wieder genau den Zustand, welchen es im finsteren Mittelalter gab. Keine Hebammen mehr! Und wenn es welche gibt, werden diesen noch mehr Steine in den Weg gelegt. Dass nur keiner mehr auf die Idee kommt diesen für uns alle so immens wichtigen Beruf überhaupt zu erlernen.
    Was passiert aber dann?

    Damit schließe ich hier meinen Kommentar. Denn eigentlich könnte ich mich bei diesem Thema so richtig in "Rage" schreiben.

    ♥liche Grüße
    Ellen

    Antworten
    • Liebe Ellen, du gute Seele!

      danke für Deinen Kommentar – mir geht es da ganz genauso! Leider durfte ich heute beim meinem Frauenarzt, den ich bisher für sehr kompetent gehalten hatte, das Trauerspiel des Kompetenzgerangels zwischen Ärzten und Hebammen live miterleben. Das beschäftigt mich jetzt schon den ganzen Tag; darüber werde ich gleich bloggen MÜSSEN, sonst platze ich.

      Es ist traurig, was im Gesundheitswesen allgemein und in der Geburtshilfe speziell gerade so passiert.

      Lieber Gruß,
      Sonja

      Antworten
  2. Liebe Sonja,
    Wieder einmal hast du einen Beitrag geleistet, der zum Nachdenken anstößt.
    Wir haben zwei wunderbare Kinder und sind "planmäßig" durch, aber was im Leben verläuft schon nach Plan?
    Aus der Sicht meiner Kinder habe ich das Thema noch nie betrachtet, danke für diesen Blickwinkel.
    Ich selbst hatte zwei tolle Geburten im Krankenhaus. Ich bin dort aus zwei Gründen hingegangen. Erstens arbeite ich dort und kenne das Personal und genieße dort den Mitarbeiterbonus und zweitens hat das einzigste Geburtshaus in unserem Landkreis vor einigen Jahren geschlossen und macht nur noch Kurse.
    Als ich mit der Bohne schwanger war, wurde das Thema immer aktueller und ich hatte die Befürchtung, dass meine Hebamme zu überlastet war um uns wieder zu Hause betreuen zu können. Aber wir hatten Glück und sind so grade noch bei Ihr untergekommen.

    Auch im Krankenhaus fande ich esimmer sehr schade, dass den Hebammen die Kompetenz der Geburtshilfe nicht alleine gehört. Sobald feststeht, der Bauchzwerg schlüpft in der nächsten Zeit, Anruf beim Arzt- Kind kommt gleich.
    Da fände ich die Wahlmöglichkeit an meiner alten Klinik zwischen einer reinen Hebammengeburt oder Geburt mit Arzt und Hebamme besser. Da hat sich eine Klinik mal getraut den Fachleuten das Feld alleine zu überlassen. Solche Möglichkeiten sollte es in jeder Klinik geben, nicht nur für die Mütter sondern vor allem zur Anerkennung der Kompetenz von Hebammen!

    In den USA gibt es gar keine Hebammen, da wird nur die reine Geburt von Ärzten begleitet und den Rest der Zeit wären die Frauen/ Paare allein, wenn es da nicht die Dulas gäbe. Das sind ausgebildete Geburtsbegleiter, die die Mütter während der wehen unterstützen und auch Wochenbettbetreuung machen.
    In Deutschland gibt es sie auch immer häufiger, wird aber nicht von den Kassen unterstützt, da es ja bei uns die Hebammen gibt.
    Eine Dulas ist beispielsweise eine gute Möglichkeit wenn die Frau nicht alleine in den Kreißsaal möchte und sie kein anderer begleiten kann/will, z. B. Wenn keiner da ist um auf das große Kind aufzupassen und der Papa zu Hause bleiben muss.

    In diesem Sinne hoffe ich, dass es unsere Hebammen noch lange geben wird und auch unsere Kinder davon mal profitieren können.
    Dir liebe Sonja wünsche ich noch eine schöne Restschwangerschaft, schöne Weihnachten und einen guten Rutsch.

    LG Kathrin

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