Scrunchies. So heißen Haargummis heute. Und das ist nur eins von vielen Dingen, das sich in den vergangenen 30 Jahren geändert hat. Meine ersten Burda-Schnittmuster, die ich so ab 12/13 Jahren genäht habe, waren riesige Papiere mit Linien darauf, kaum vom Londoner U-Bahn-Plan zu unterscheiden. Und 2021? – Beam me up! Heute projizieren Näherinnen die Schnittmuster mit dem Beamer auf den Stoff! “Nähen mit Beamer” ist einer von vielen aktuellen Trends der Nähwelt. Drucken und Kleben und die Zeit der U-Bahn-Plan-artigen Schnittmuster gehören wohl schon einer verblassenden Oldschool-Nähtradition an. Da wird es doch mal Zeit, sich hinzusetzen und ein bisschen in meiner monatlichen Nähkolumne zu resümieren.
Bloggen und Nähen – damals und heute
Wenn ich mir Fortschritte wie das mit dem Nähen mit Beamer vor Augen führe, muss ich auch ein bisschen schmunzeln. Hätte meine Oma das gewusst! Sie ist vor zwei Jahren gestorben, aber ich glaube, manches hätte sie auch als erleichternd empfunden. Auf ihrer Beerdigung haben wir uns mit einem Lächeln und einem Tränchen im Auge daran erinnert, wie sie als junge Frau jene Papierbahnen mit Linien auf dem Tisch ausbreitete, abrädelte, ausschnitt und auf den Stoff übertrug.
Ich selbst tu mich manchmal schwer mit Neuerungen, da bin ich ganz ehrlich. Nähen ist eines der traditionsreichsten Handwerke, und ich sehe mich selbst auch irgendwie in dieser Tradition. Ich liebe diese Atmosphäre von Stoffen, Nadeln, schweren Scheren, raschelndem Papier und Fingerhüten. Mein Nähzimmer ist ein Sammelsurium diverser Teile, Utensilien und liebgewonnener Schätze, wie z.B. dieses Nadelkissen, ein Geschenk meiner Schwiegermama.
Mit dem Bloggen ist es ähnlich: Meinen ersten Blog hatte ich vor etwa 20 Jahren über das Seifesieden. Damals waren wir alle noch bei studiVZ. Als Facebook aufkam, war ich recht bald mit dabei, aber das Netzwerk war seinerzeit recht einsam. Mehr als irgendwelche Spiele spielen konnte man damals da noch nicht.
Inzwischen haben sich beide Welten, in denen ich mich so tagtäglich bewege – die Nähwelt und die Bloggerwelt – doch sehr verändert. Bloggen ist etwas anderes geworden. Da gibt es Instagram und Youtube und weitere Netzwerke. Ich kann durch keinen Feed mehr scrollen, ohne dass bewegte Bilder meine Aufmerksamkeit entführen – alles blinkt und bewegt sich, oder plötzlich geht der Ton an, und ich erschrecke mich ganz furchtbar.
Als Bloggerin sollte ich wohl den ganzen Tag Selfies und kleine Filmchen (aka Reels, Stories und Tiktoks) machen. Dabei habe ich ja in meinem Nähzimmer gern meine Ruhe. Ich sitz da gern ungeschminkt und in Leggins mit wirren Haaren und bei lauter Musik. Obwohl es in mir arbeitet und ich mich zunehmend bedrängt fühle, kann ich mich bisher nicht zu Live-Übertragungen aus dem Nähzimmer durchringen.
Und gleichzeitig hab ich ein bisschen Angst, dass ich dadurch was verpasse, nicht am Puls der Zeit bleibe… Werde ich womöglich alt? Jetzt, wo ich doch gerade erst die 40 überschritten und das Gefühl habe, endlich einen Punkt im Leben erreicht zu haben, an dem ich mich gut und halbwegs fertig fühle und doch sehr dankbar dafür bin, dass ich keine 20 mehr bin?
Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann.
Francis Picabia
Nähen mit Beamer: Tradition versus Fortschritt?
Ich habe mir in den vergangenen Wochen mehr und mehr Gedanken darüber gemacht. Natürlich poppt dann auch die Frage auf, wo ich eigentlich hin will, denn eins ist mir sehr bewusst: Ich kann als Designerin auch nicht alles, vor allem kann ich nicht jedem Trend hinterherlaufen, dann würde mir mit 45 die Puste ausgehen, spätestens.
Aber ich will auch nicht jede Neuerung verteufeln. Die Nähwelt hat inzwischen sehr viel erschwingliches Profi-Zubehör und auch Hightech-Geräte hervorgebracht. Wenn man mal darüber nachdenkt, dass die erste Nähmaschine erst knapp 175 Jahre alt ist, ist die Nähwelt heute regelrecht im Science Fiction-Zeitalter angekommen!
Ich kann zwar immer noch traditionell nähen wie meine Oma vor 60 Jahren, aber ich finde die Möglichkeiten der modernen Technik doch auch irgendwie cool. Noch habe ich selbst keinen Beamer für’s Nähen, aber mein Stammteam hat mich ein bisschen auf den Geschmack gebracht: Mein neues Schnittmuster LINUS, das im Juni erscheint, wird eine Beamerdatei mit dabei haben!
Der Vorteil beim Nähen mit Beamer ist, dass man einzelne Ebenen ein- und ausblenden kann. Der Beamer wird senkrecht über dem Stoff platziert, der Schnitt wird direkt auf den Stoff projiziert und man kann direkt zuschneiden. Das Ausdrucken des Schnittmusters entfällt und spart Papier- und Druckkosten. Dem gegenüber muss man natürlich die Anschaffungskosten für den Beamer stellen, wobei die Geräte auch inzwischen sehr günstig zu haben sind. Ich habe hier einen Mini-Beamer für unter 200€* und hier noch einen für etwas über 100€* gefunden, den man sogar über das Handy ansteuern kann.
Was man noch bedenken muss: Man muss den Beamer fest aufbauen. Ich habe bisher privat einen großen Beamer für’s Heimkino, aber den würde ich für’s Nähen nicht verwenden. Dafür würde ich mir einen fest im Nähzimmer anbringen (lassen). Andererseits stelle ich mir das, je mehr ich darüber nachdenke, auch doch irgendwie praktisch vor, zumal ich ja doch sehr hohe Druck- und Papierkosten habe und mich zusätzlich noch immer über meinen Drucker ärgere, der zwar eigentlich drucken, faxen und scannen kann, sich aber gern bei jedem vierten Blatt Papier verschluckt.
Je mehr ich darüber nachdenke, komme ich zu dem Schluss, dass Nähen schon immer Innovationen erlebt hat. 1846 kam die erste Nähmaschine von Elias auf den Markt. Seitdem wurde die Nähwelt immer wieder rasant erneuert, wurde Zubehör entwickelt und die Technik vorangetrieben: Die ständige Selbst-Erneuerung ist Teil der Tradition, in der meine Oma damals und ich heute nähen.
Crafting Linktipps Mai 2021
Bei mir war es ja zu verregnet und kalt für sommerliche Nähprojekte, einige andere haben sich aber nicht bremsen lassen. Ich verlinke heute ein paar schöne Blogbeiträge zur Sommermode und zu Anpassungen. Ich hoffe mal, dass es bald wärmer wird!
Außerdem habe ich noch weitere Links zum Thema “Nähen mit Beamer” und einen informativen Link über die Erfindung der Nähmaschine mitgebracht: Nähen damals und heute also – viel Spaß beim Stöbern!
Der Deutschlandfunk hat die Geschichte der Nähmaschine ganz gut zusammengefasst.
Petra von pedilu hat sich schon vor einigen Monaten mit dem Thema “Nähen mit Beamer” beschäftigt.
Auf Need for Needles habe ich einen schönen Nähkrimi über einen Hosenbund, der enger soll, gelesen. Inga schreibt über Refashion und wie man Nachhaltigkeit beim Nähen umsetzen kann – ein sehr schöner Blog.
Über einen weiteren Nähkrimi mit Anpassungsschwierigkeiten schreibt Miriam auf “Mein Lebensspiel” und stellt ein schönes Frühlingskleid vor.
Ein echt schönes T-Shirt mit Puffärmeln habe ich bei Lasercat gesehen.
Ob mit oder ohne Beamer: Kanten versäubern musste meine Oma schon, und wir heute auch. Wie es besonders schön geht, erfahren wir in diesem schönen Tutorial.
Ich hoffe, für Dich war heute was dabei? Ich verlinke diesen Beitrag mal mit dem Freutag und hoffe, dass Dir dieser Blogbeitrag gefällt.
Hallo Sonja,
vielen Dank für diesen wunderschönen und vor allem ehrlichen Beitrag. Da hast Du uns ja tief blicken lassen und bei mir kam echter Neid auf: ICH WILL AUCH SO EIN NÄHKISSEN! Das ist wirklich traumhaft.
Ich habe auch oft das Gefühl zwischen den Zeiten zu hängen. Zwischen dem, was ich immer als normal empfunden habe und dem was immer wieder neues auf uns einprasselt. Mein Gefühl sagt mir: Alles geht nicht, aber Stück für Stück geht alles. Gerade im Netz mit den vielen Netzwerken kann man sich schnell verlieren. Ich kämpfe die ganze Zeit mit mir, ob ich jetzt auch “auf dieses Insta” muss… vermutlich schon, aber noch ein Kanal mehr? Noch ein Netzwerk? Will ich das wirklich? In mir sträubt sich alles – vergleichbar mit dir und dem Beamer.
Kommt Zeit, geht alles weiter.
Und wie heißt es so schön: Leben heißt Veränderung.
LG Miriam
Liebe Miriam,
Leben heißt Veränderung – da hast Du so Recht!
Und mir geht es auch immer noch so mit Social Media-Kanälen, wobei es mir auch Spaß macht, dort Sachen auszuprobieren. Speziell bei Instagram habe ich mir jetzt auch Mühe gegeben, dass der Feed schön aussieht. So richtig mit Konzept :). Ich tu mich noch schwer mit bewegten Bildern, andersrum reizt es mich, da auch was auszuprobieren. Das alles ist immer abhängig von meiner zeit, und gerade im Moment empfinde ich es zunehmend schwierig, mit dem Tempo anderer Schritt zu halten. Es kommt mir so vor, dass andere drei oder vier Videos machen, während ich noch über das erste nachdenke.
Dann versuche ich mich wieder auf mich zu konzentrieren und meine Inhalte. Wenn ich zurückschaue, habe ich immer einfach so angefangen – mit dem Blog, mit Insta, mit Facebook und Pinterest und jetzt mit YouTube. Ich glaub, man darf sich da einfach nicht stressen. Jedes Bild und jedes Video trägt zum Bau des gesamten Feeds bei – und irgendwann steht da eine bemerkenswerte Sammlung schöner und hilfreicher Inhalte. Ich habe in den letzten Jahren auch die Erkenntnis gewonnen, dass kein Follower wegläuft, nur weil man eine Weile nichts gepostet, oder weil man selbst “langsam” ist. Ich kreise meist um meine Inhalte und Themen: Mal bin ich hier auf dem Blog aktiver, mal auf Facebook, mal auf Instagram, usw. Und irgendwie kommt man doch mit der ganzen Maschine irgendwie vorwärts.
Nur manchmal, da erschlägt es mich, und ich fühle mich unter Druck. Das ist dann ein Zeitpunkt so wie jetzt, an dem ich nochmal durchatme, das Internet erstmal abstelle, und dann nach einer Pause volle Kraft weitermache :).
Sag Bescheid, wenn Du auf Instagram bist – dann sehen wir uns da :).
Lieber Gruß,
Liebe Sonja,
vielen lieben Dank für die Verlinkung. Näh-Krimi trifft es ja ganz gut bei der Hose, aber es hat sich gelohnt, denn ich trage sie jetzt wirklich gerne. Ich habe noch eine ganz kleine Ergänzung – ich schreibe gar nicht über nachhaltige Mode im Allgemeinen, sondern darüber, wie man Nachhaltigkeit beim Nähen umsetzen kann :-).
Liebe Grüße
Inga
Liebe Inga,
danke für deinen Besuch bei mir! 🙂
Ich habe direkt den Text mal geändert.
Lieber Gruß,
Sonja